baby-219683_1280Systeme haben die faszinierende Eigenschaft durch die Beziehung der Teile neue Eigenschaften entstehen zu lassen. Wenn wir beispielsweise gasförmigen Sauerstoff mit ebenfalls gasförmigen Wasserstoff verbinden entsteht dadurch flüssiges Wasser.

Es ist wichtig zu bemerken, dass auch wir uns, wenn wir eine Beziehung eingehen in andere Wesen verwandeln. Wir funktionieren plötzlich anders, weil wir uns nicht mehr alleine im Bezug auf unser eigenes Handeln erleben, sondern die Anwesenheit und das Handeln des anderen zu einem Teil unseres Handelns werden. Single-sein und In-Beziehung-sein sind so unterschiedlich wie Onanie und Sex und haben dementsprechend andere Konsequenzen, auch wenn das, worum es geht, von Außen betrachtet ziemlich ähnlich wirkt.

Wenn sich also unsere persönlichen Fantasien von Partnerschaft auf die eine oder andere Weise in eine konkrete Partnerschaft verwandelt haben, macht uns das zu einem anderen Menschen.

Mit dieser Veränderung, die uns in der heißen Phase des Verliebt-Seins und Zusammen-Seins so schmackhaft erscheint, müssen wir als Einzelperson zurecht kommen und ein neues Gleichgewicht finden.

Eine Strategie wäre, sich nie vom  einmal gefundenen Partner zu trennen, nie alleine zu sein, um ein Auf-sich-selbst-zurückgeworfen-sein  nicht mehr zuzulassen. Dies ist eine Strategie, die viele zumindest im Ansatz versuchen. Sie wirkt anfangs erfolgsversprechend, wird aber oft mehr und mehr zur gemeinsamen Hölle.  Denn das tatsächlich erlebte Glück zeigt, ob man/frau wirklich gerne gemeinsam ist, oder die Gemeinsamkeit von der Angst vor dem Allein-sein bestimmt wird. Je mehr daher die Angst vor dem Allein-sein die emotionale Motivation für das Gemeinsam-Sein ist, desto  mehr verwandelt die Enge der Ängste das Gemeinsam-sein zu einem Gefängnis.

Stabilität in der Beziehung durch Veränderung

Es ist daher notwendig sich strategische Auszeiten – zur Musterunterbrechung – von jeder Tätigkeit oder Person, die einen vereinnahmt zu nehmen. Und dies am besten lange bevor der Haussegen schief hängt und die Tätigkeit oder Person zu einem Problem geworden ist. Wann immer große Veränderungen in unser Leben kommen, sollten wir anschließend nach Zeit für uns Ausschau halten, nach einer Zeit in der wir wahrnehmen können zu wem wir durch diese Veränderung geworden sind und wie wir nun diese Welt durch unsere neuen Augen sehen.

Jedes Mal, wenn sich also zwei Partner wieder treffen, beteiligt sich potentiell ein neuer Mensch an der Beziehung – im Idealfall einer heißen Liebe – und wir verlieben uns immer wieder aufs Neue.

Das ist eine Chance, die wir uns nicht vorenthalten dürfen, wenn unsere Liebe frisch bleiben soll.

Festhalten vs. Veränderung

Das krampfhafte Festhalten an einer vergangenen Beziehung, einem vergangenem Selbst, einer Tätigkeit, die uns einst einmal Spaß gemacht hat, hinterlässt in uns ein ähnliches Gefühl wie bei einem missglückten Klassentreffen. Wir fühlen uns vom Gefühl verfolgt, alle im Raum kommunizieren mit Menschen, die es seit Jahren nicht mehr gibt. Es mag uns zwar gelingen ein Weile vorzutäuschen, was nicht mehr ist, aber im Grunde unseres Herzens fühlen wir uns ignoriert – von uns selbst und von den anderen. Am Ende sind wir froh, dass es vorbei ist.

Genauso ergeht es uns, wenn wir durch die Beziehung, oder auch durch Arbeit, vor dem Allein-sein flüchten. Es ist die Flucht selbst, die uns alleine fühlen lässt.

In gewisser Weise müssen wir etwas tun, wovor uns alle warnen, weil sie es mit Egoismus verwechseln. Es geht darum im eigenen Leben, auch in einer Beziehung, ein starkes Interesse an sich selbst zu wahren, oder gegebenenfalls zu entwickeln.

Wer wissen möchte, ob er wirklich lebt, kann das daran erkennen, ob er bemerkt, wie er sich verändert.

Dieses Bewusstsein für Veränderung führt im Gegensatz zum Egoismus dazu, dass wir anderen mit Offenheit begegnen und nicht automatisch annehmen, dass auch deren Wünsche und Ängste die gleichen geblieben sind. Wir sind dann neugierig, sowohl auf die Veränderungen in uns, als auch auf die Veränderungen im anderen.

Nach jedem Kuß, nach jeder Umarmung, könnte man/frau ein anderer Mensch sein. Es geht nicht darum, dies zu erwarten, zu befürchten oder zu ersehnen. Es geht darum, es wahrzunehmen. Es geht um die Offenheit hinzuschauen und hinzuhören auf das, was gleich geblieben ist und das, was sich verändert hat.

Wo diese Offenheit, die eigene Veränderung bei sich selbst wahrzunehmen fehlt, wird sie meist um so vehementer von anderen verlangt. Wer für sich selbst blind wird, braucht beständig die anderen als Spiegel; und niemand kann es auf Dauer aushalten auf einen Spiegel reduziert zu sein, dessen Zweck es ist, den anderen immer gerade so zu zeigen, wie man/frau glaubt gesehen werden zu müssen.

Selbstwahrnehmung als Schlüssel zum eigenen System

Andere können weder Ersatz für die eigene Selbstwahrnehmung sein, noch können sie die eigenen Wahrnehmungen und Ängste auf Dauer durch seine/ihre Liebe überdecken. Mit anderen Worten, die Liebe zu anderen kann die Liebe zu sich selbst nicht ersetzen. Und wie es beim anderen nicht mit Worten wie: „Ich liebe dich eh!“ oder mit Erklärungen und Rechtfertigungen getan ist, sondern der konkrete Mensch nach tatsächlicher Liebe und Zuwendung dürstet, genauso dürsten wir als Lebewesen nach der Zeit für uns selbst, in der wir uns ausprobieren, unseren eigenen Gedanken, Emotionen und Ideen nachgehen können, um zu sehen wohin das führt.

Das ist die Basis, um sich auf die Beziehung mit anderen einlassen zu können, weil wir nur dann unsere Emotionen, Gedanken und Ideen mit anderen teilen können, wenn wir sie selbst wahrnehmen.

Wie es im Englischen die Warnhinweise: „Mind your head!“ gibt, gibt es für diesen Umstand im Englischen auch eine eigene Redewendung: „Check yourself, before you wreck yourself!“

Auf Deutsch bleibt vielleicht nur zu sagen: „Wir müssen uns heute leben, wenn wir morgen nicht von gestern sein wollen.“