Teil I: Die Massenmedien und das Theater der Unterdrückten

Synopsis: Die elektronischen Massenmedien machen die Welt zum globalen Theater der Unterdrückten.

Die Massenmedien des 20. Jahrhunderts

Das 20. Jahrhundert brachte, wie es Marshall McLuhan zur Zeiten der Einführung des Fernsehens erkannte, eine radikale Transformation aller Kulturen, insbesondere derer, die zuvor auf Schreiben und Lesen und auf eine ein lineare, dem arabischen Alphabet entsprechende Ordnung ausgerichtet waren. Wie der Text des Teleprompters zum Hilfsmittel einer Nachrichtensendung wurde, so wurde eine von Europa ausgehende Schriftkultur, die zuvor im Zuge des Kolonialismus den gesamten Planeten erobert hatte, nun selbst von den elektronischen Medien global absorbiert. Diese elektronischen Massenmedien machten die Welt zuerst zu einem globalen Dorf, in dem die medialen Trommeln des Radios und des Fernsehens Takt und Struktur des Weltgeschehens vorgaben.

Die Television eröffnete die Vision eines programmierbaren Menschen, der durch eine täglich vorgesetzte Realität, die ritualistisch gemeinsam oder alleine weltweit in Wohnzimmern konsumiert wird, ohne dass er eine Möglichkeit einer tatsächlich aktiven, im Sinne von gestaltenden, Anteilnahmen hat.

„Das ganze Leben ist ein Quiz und wir sind nur die Kandidaten und nur eines ist gewiss, wir müssen raten, raten, raten.“

Die Vorführung der ZuseherInnen, die im kreativen Gehorsam wetteifern, um dem Publikum, oder einer dem Publikum stellvertretenden Jury, auf jeder nur erdenklich-perverse Art gefällig zu sein, wie Talkshow und Realityshow, sind daher am besten an das Medium angepasste Fernseh-Formate.

Die Welt wird zum Globalen Theater

Zeitgleich mit der voranschreitenden Selbstunterwerfung, die mit einer, nie zuvor dagewesen körperlichen und geistigen Erlahmung und Verfettung des Publikums einhergeht, wurde die Welt selbst zur Bühne, die durch Entwicklung von weltweit übergreifenden Satellitennetzen von Außen beobachtet, uns in Schauspieler und Selbstdarsteller eines „globalen Theaters“ verwandelte. Wer nicht von der Diktatur des Mediums Fernsehen vereinnahmt werden wollte, dem bliebt und bleibt in der elektronischen Gesellschaft nur das freiwillige Exil in der Privatisierung des Lebens, oder der aktive Kampf gegen die Vereinnahmung der Massenmedien, durch die Selbst-Medialisierung, bei gleichzeitiger Eroberung und Neugestaltung der Mittel von medialer Selbst-Produktion und Dokumentation.

Diese sich beschleunigenden Zunahme von medialen Produktionsmöglichkeiten führte zu einem, mehr oder minder offenen Konflikt sich einander widersprechenden Televisionen, in der miteinander konkurrierende Realitäten, wie beispielsweise im Falle des Vietnamkrieges, die verstörten Zuseher zu eigenen Reaktionen und zur Selbst-Organisation anstachelten. Die medialen Herrscher im Westen reagierten auf diese auftretenden Problematiken mit einer kapitalistisch vorangetriebenen Uniformisierung der elektronisch produzierten Realitäten. Goethes geflügelte Worte, dass sich die Masse nur durch Masse zwingen lässt, wurde zur medialen Kriegsstrategie des Westen und erschuf Myriaden von mehr oder minder identen Magazinen, Fernsehkanälen und Radiosender, auf und in denen es dasselbe zu hören, zu sehen und zu lesen gab. Die Strategie der Herrscher der westlichen Industriegesellschaften war und ist es Andersdenkende und Anderslebende in einer Flut vom Marketing und Public Relation der großen Konzerne genormter Verschiedenheiten zu ertränken.

Der eindimensionale Mensch

Die Maxime der kapitalistischen Industriegesellschaften hat zum Ziel im Individuum den Anschein zu erwecken, dass jegliche erdenkbare spontane Regung, wie vernünftig oder pervers sie erscheinen mag, durch Konsum abgedeckt werden kann. Herbert Marcuse spricht in diesem Zusammenhang vom eindimensionalen Menschen. Diese Produktion einer unüberschaubaren Menge an mehr oder minder identer medialer Realitäten, durch die man den Konsumenten scheinbare Freiheit und Vielfalt vorgaukelte, wurde in anti-kapitalistischen Ländern des Ostens durch eine kurzlebige Strategie des medialen Ausschlusses und des Verbotes von Anders-artigem ersetzt.

Vereint wurden beide Herrschaftsformen durch die, durch die Uniformisierung bedingte, voranschreitende Verblödung, die in kapitalistischen sowie in anti-kapitalistischen Ländern zum allgemeinen Bildungsideal erhoben wurde.

Für die Welt der traditionellen Massenmedien gilt: Alles, was der eigenen Propaganda widerspricht, muss entweder gesetzlich verboten und verfolgt, oder über strategische Manipulationen des Marktes ökonomisch liquidiert werden.

Nachtrag zum Theater der Unterdrückten

[Andreas Tischler]
Das Theater der Unterdrückten nach Augusto Boal wurde im Zuge der Unterdrückung während der Militärdiktaturen in Lateinamerika entwickelt. Es geht davon aus, dass das Publikum nicht mehr passiv bleiben, sondern aktiv in das Geschehen eingreifen soll, mit dem Ziel, dass sich das Publikum als handlungsfähig begreift und dieses Erleben in den Alltag hinaus mitnimmt. Methoden des Theaters und des Schauspiels werden genutzt, um das Handeln im Alltag in einem geschützten Rahmen (dem Theater) auszuprobieren und zu proben.

„Jeder kann Theater spielen – sogar die Schauspieler. Überall kann Theater stattfinden – sogar im Theater.“ – Augusto Boal

Das Theater der Unterdrückten ist ein Theater der Befreiung; vom passiven Wesen, Objekt, zum Protagonisten der Handlung, zum Subjekt. Es genügt nicht, die Vergangenheit und Gegenwart zu rekonstruieren. Ziel des Theaters der Unterdrückten ist, dass die Zukunft antizipiert, vorausgedacht und geprobt wird. Wie wäre es, wenn es gut wäre?

„Theater ist Aktion. Vielleicht ist Theater nicht selbst revolutionär, aber Theater probt die Revolution.“

„Brecht hat gesagt, das Theater müsse in den Dienst der Revolution gestellt werden. Ich glaube, das Theater muss Bestandteil der Revolution sein. Es steht nicht im Dienste, es ist Teil der Revolution, Vorbereitung auf sie, ihre Generalprobe.“
– Augusto Boal, Theater der Unterdrückten, 1979